GEDICHT / POEM
Der Mann aus Geschwindigkeit
Er stand am Bahnsteig, aber niemand sah ihn. Sein Körper war aus Magenta und Durchzug gemacht, seine Beine aus Gelb, das vergessen hatte, fest zu sein, sein Torso ein Rechteck aus Türkis, das die Wand durchschaute.
Bei jedem einfahrenden Zug verlor er eine Schicht. Erst die Arme—sie lösten sich in Rosa auf. Dann der Kopf—er wurde durchsichtig wie schlechte Erinnerungen. Seine Füße blieben auf dem gelben Sicherheitsstreifen stehen, aber der Rest von ihm fuhr bereits mit.
Die anderen Pendler gingen durch ihn hindurch, ohne es zu bemerken. Er war nicht mehr Mensch, nur noch die Idee eines Menschen, gemalt in Farben, die zu schnell fuhren, um anhalten zu können.
Am Abend, wenn die S-Bahn leer wurde, war er immer noch da—wartend auf einen Zug, der niemals kommen würde, weil er bereits darin saß.
The Man Made of Velocity
He stood on the platform, but nobody saw him. His body was made of magenta and draft, his legs of yellow that had forgotten to be solid, his torso a rectangle of turquoise that saw through the wall.
With every arriving train he lost a layer. First the arms—they dissolved into pink. Then the head—it became transparent like bad memories. His feet remained standing on the yellow safety line, but the rest of him was already traveling.
The other commuters walked through him without noticing. He was no longer human, only the idea of a human, painted in colors that moved too fast to be able to stop.
In the evening, when the S-Bahn became empty, he was still there—waiting for a train that would never come, because he was already sitting in it.
GESCHICHTE / STORY
Die Durchsichtigkeit des Herrn K.
Herr K. hatte seinen Körper verloren, aber er bemerkte es erst an einem Dienstag. Es geschah nicht plötzlich—es war ein langsamer Prozess, der mit seiner ersten Monatskarte begonnen hatte. Jeden Tag fuhr er von Pasing nach Marienplatz, und jeden Tag wurde er ein bisschen durchsichtiger.
Zuerst verschwanden seine Fingernägel. Dann die Wimpern. Schließlich seine gesamte Haut—sie wurde transluzent wie Pergamentpapier, bis man die S-Bahn-Werbung hinter ihm lesen konnte. Die anderen Fahrgäste ignorierten dies. In München ignoriert man vieles.
Eines Morgens stand er am Ostbahnhof und merkte, dass seine Beine aus drei verschiedenen Farben bestanden, die sich nicht einigen konnten, in welche Richtung sie gehen wollten. Das linke Bein war gelb und wollte nach Trudering. Das rechte war magenta und bestand auf Pasing. Sein Oberkörper—ein Flickwerk aus Rosa, Türkis und Blau—hatte längst aufgehört, Entscheidungen zu treffen.
“Entschuldigung”, sagte eine Frau und ging direkt durch seinen Torso hindurch. Sie spürte nichts. Er spürte alles—die Kälte ihres Regenschirms, den Duft ihres Kaffees, die Müdigkeit ihrer Gedanken, die sich in seinen eigenen Rippen verfingen.
Der Schaffner kam vorbei. “Fahrkarte bitte.”
Herr K. versuchte, sie aus seiner Tasche zu ziehen, aber seine Hand war bereits in der nächsten Dimension. Die Fahrkarte existierte in Zone M. Seine Finger in Zone Z. Dazwischen lagen dreizehn weitere Zonen, die technisch nicht existierten.
“Tut mir leid”, sagte der Schaffner. “Sie sind zu durchsichtig zum Kontrollieren. Bitte fahren Sie kostenlos weiter.”
Das war vor drei Jahren. Seitdem fährt Herr K. durch München, ohne Ziel, ohne Körper, ohne irgendjemanden, der ihn sehen könnte. Aber jeden Abend, kurz bevor die letzte S-Bahn fährt, wird er für genau sieben Sekunden wieder sichtbar. Dann steht er am Bahnsteig, vollständig, fest, aus Fleisch und Knochen.
Und dann fährt der Zug ein, und er löst sich wieder auf—dankbar, dass er nicht aussteigen muss in eine Welt, die fester ist als er.
The Transparency of Mr. K.
Mr. K. had lost his body, but he only noticed it on a Tuesday. It didn’t happen suddenly—it was a slow process that had begun with his first monthly ticket. Every day he traveled from Pasing to Marienplatz, and every day he became a bit more transparent.
First his fingernails disappeared. Then the eyelashes. Finally his entire skin—it became translucent like parchment paper, until one could read the S-Bahn advertising behind him. The other passengers ignored this. In Munich one ignores many things.
One morning he stood at Ostbahnhof and noticed that his legs consisted of three different colors that couldn’t agree on which direction they wanted to go. The left leg was yellow and wanted to go to Trudering. The right was magenta and insisted on Pasing. His torso—a patchwork of pink, turquoise and blue—had long since stopped making decisions.
“Excuse me,” said a woman and walked directly through his torso. She felt nothing. He felt everything—the coldness of her umbrella, the scent of her coffee, the tiredness of her thoughts that got caught in his own ribs.
The conductor came by. “Ticket please.”
Mr. K. tried to pull it from his pocket, but his hand was already in the next dimension. The ticket existed in Zone M. His fingers in Zone Z. Between them lay thirteen more zones that technically didn’t exist.
“I’m sorry,” said the conductor. “You’re too transparent to check. Please continue traveling for free.”
That was three years ago. Since then Mr. K. travels through Munich, without destination, without body, without anyone who could see him. But every evening, just before the last S-Bahn departs, he becomes visible again for exactly seven seconds. Then he stands on the platform, complete, solid, made of flesh and bone.
And then the train arrives, and he dissolves again—grateful that he doesn’t have to get off into a world that is more solid than he is.
Dies ist ein DaDa-Projekt. Hör auf, nach Bedeutung zu suchen, denn es ist dada (sic!) driven. Genieße einfach für einen Moment die Reise deines Geistes.
This is a DaDa project. So stop searching for meaning, because it’s dada (sic!) driven. Just enjoy the journey of your mind for a moment.


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