Nachdem ich alle Farben war, wurde ich Sicht.
Die Ankunft kam nicht als Ort, sondern als Funktion. Ich materialisierte nicht in einem Raum – ich wurde zum Betrachten selbst. Und was ich sah, waren zwei Ovale. Zwei Öffnungen. Zwei Möglichkeiten, die Welt zu lesen.
Links: ein leuchtendes, schreiend intensives Gelb. Ein Oval, eingerahmt von Türkis, das sich weigerte, kreisförmig zu sein. Es pulsierte wie eine Pupille, die zu viel gesehen hatte und nicht aufhören konnte zu starren. Durch dieses Oval sah ich: Hoffnung. Nicht die falsche Hoffnung aus dem Korridor. Echte Hoffnung. Schmerzhaft hell. Die Art von Hoffnung, die blendet, weil sie wahr ist.
Rechts: ein sanfteres Türkis. Ovaler, ruhiger, von einem olivfarbenen Ring umgeben, der aussah wie getrocknete Zeit. Durch dieses Oval sah ich: Erinnerung. Alles, was gewesen war. Das erste Treppenhaus. Die Säulen. Der Anfang, der kein Anfang war, weil Anfänge Lügen sind, die wir uns erzählen.
Und ich verstand: Das waren die Augen des Gebäudes. Oder meine Augen. Oder die Augen des Architekten. Die Unterscheidung war kollabiert.
Der Raum um die beiden Ovale herum war ein Fest der Fragmentierung. Alle Farben, die ich je gesehen hatte, lagen übereinander wie falsch zusammengesetzte Puzzle. Magenta stieß gegen Orange. Grün kollidierte mit Rot. Violett versuchte, zwischen Blau und Rosa zu vermitteln. Gelb und Weiß stritten in der linken Ecke. Schwarz schnitt durch alles hindurch – die einzige Konstante, die schwarzen Linien, die behaupteten, Dinge seien voneinander getrennt, obwohl nichts getrennt war.
“Du siehst jetzt durch beide Augen gleichzeitig”, sagte eine Stimme. Aber es war nicht eine Stimme. Es waren zwei. Eine aus dem gelben Oval, eine aus dem türkisen. Sie sprachen gleichzeitig, sagten dasselbe, aber mit unterschiedlicher Betonung. “Das ist die Gabe. Und der Fluch. Das Gebäude sieht immer in zwei Richtungen – was war und was sein könnte. Vergangenheit und Möglichkeit. Niemals Gegenwart.”
Ich versuchte zu verstehen, wo ich war. Unter den Ovalen: ein Durchgang. Nein, mehrere Durchgänge. Geometrisch unmögliche Öffnungen, die in verschiedene Farbzonen führten. Ein magentafarbener Bogen. Ein grüner Keil. Ein roter Spalt. Jeder ein Weg zurück zu einem der Räume, die ich durchquert hatte.
“Nachdem du getrunken hast”, fuhren die Stimmen fort, “bist du nicht mehr linear. Du existierst nicht mehr in einer Zeit, an einem Ort. Du bist verteilt. Geschichtet. Genau wie das Gebäude. Deshalb siehst du durch seine Augen.”
Das gelbe Oval leuchtete heller. Durch es sah ich: eine Treppe. Nicht die türkise aus dem Anfang. Eine neue Treppe. Aus reinem Licht gebaut. Sie führte nach oben – und diesmal war oben tatsächlich oben. Keine Umkehrung. Keine Paradoxe. Nur eine simple, ehrliche Richtung.
“Das ist der Ausgang”, sagte die Stimme aus dem gelben Oval. “Der echte. Der Architekt hat ihn gebaut, nachdem er alles andere verstanden hatte. Eine Treppe, die tatsächlich hinausführt. Aus dem Gebäude. Zurück in die Welt.”
“Aber du wirst sie nie nehmen”, sagte die Stimme aus dem türkisen Oval. “Das weißt du bereits.”
Ich blickte durch das türkise Oval. Durch es sah ich: mich selbst. Nicht wie ich war, sondern wie ich gewesen war. Am Anfang. Vor dem ersten Treppenhaus. Bevor das Türkis mich berührt hatte. Ein Ich, das noch dachte, Räume seien nur Räume. Dass Aufwärts eine einfache Richtung sei.
“Du könntest zurückgehen”, sagte die türkise Stimme. “Durch dieses Auge. Zurück zum Anfang. Alles vergessen. Neu beginnen. Viele tun das. Sie trinken das Gefäß, sehen durch die Augen, und entscheiden: Nein. Zu viel. Zu intensiv. Sie wählen das Vergessen.”
Der Raum um mich herum begann sich zu reorganisieren. Die Farbfragmente verschoben sich, bildeten neue Muster. Das Orange floss nach unten, sammelte sich am Boden wie geschmolzenes Metall. Das Violett stieg nach oben, wurde zu einer Art Himmel. Das Magenta und das Grün tanzten in der Mitte, schufen ein vibrierendes Feld aus Komplementärkonflikt.
Ich trat näher an die Ovale heran. Sie waren nicht auf einer Wand. Sie schwebten. Oder die Wand war so fragmentiert, dass der Unterschied zwischen schweben und befestigt-sein bedeutungslos geworden war.
“Was sieht der Architekt?”, fragte ich. “Durch diese Augen?”
Die beiden Stimmen schwiegen einen Moment. Dann, gemeinsam:
“Alles. Und nichts. Er sieht alle Versionen des Gebäudes gleichzeitig. Das Gebäude, wie es war. Wie es ist. Wie es sein wird. Wie es nie war, aber hätte sein können. Er sieht jede Farbe in jedem Zustand. Jede Perspektive. Jeden Fehler. Jede Korrektur. Es ist die vollständige Sicht. Und sie hat ihn wahnsinnig gemacht.”
“Oder weise”, korrigierte die türkise Stimme.
“Oder beides”, ergänzte die gelbe.
Ich streckte meine Hand aus – die Hand, die jetzt aus allen Farben bestand – und berührte das gelbe Oval. Es war warm. Heiß sogar. Wie die Haut von etwas Lebendigem, das Fieber hatte. Durch die Berührung floss Information in mich hinein: Ich sah die Treppe aus Licht klarer. Sie war real. Sie führte tatsächlich hinaus. In eine Welt, die nicht aus unmöglichen Geometrien bestand. Eine Welt mit normalem Grau, mit langweiligen rechten Winkeln, mit Schwerkraft, die nur in eine Richtung zog.
“Willst du hinaus?”, fragte die gelbe Stimme.
Ich berührte das türkise Oval. Kalt. Wie das Wasser eines Flusses, der sich an seine Quelle erinnert. Durch die Berührung: Ich sah den Kreislauf. Wie ich zurückgehen könnte. Zum ersten Treppenhaus. Alles noch einmal beginnen. Anders gehen. Andere Entscheidungen treffen. Ein anderes Gefäß trinken.
“Oder willst du wiederholen?”, fragte die türkise Stimme.
Die Farbfragmente um mich herum intensivierten sich. Sie reagierten auf meine Unentschiedenheit, spiegelten sie wider. Das Magenta wurde aggressiver. Das Grün leuchtender. Das Rot fordernder. Als wollten sie alle ihre Meinung kundtun, als hätte jede Farbe eine Präferenz, wohin ich gehen sollte.
“Es gibt eine dritte Option”, sagten beide Stimmen plötzlich, absolut synchron. “Du musst weder hinaus noch zurück.”
“Was dann?”
Die beiden Ovale begannen zu rotieren. Nicht physisch – perspektivisch. Sie drehten sich um ihre eigene Bedeutung, tauschten Plätze, ohne sich zu bewegen. Das Gelbe wurde türkis. Das Türkise wurde gelb. Hoffnung wurde Erinnerung. Erinnerung wurde Hoffnung.
“Du kannst bleiben“, sagten die Stimmen. “In der Mitte. Zwischen beiden Augen. Weder vorwärts noch rückwärts. Du kannst die Sicht selbst werden. Das Gebäude braucht jemanden, der schaut. Der Architekt ist müde geworden. Tausende Jahre des Sehens. Er möchte ablösen. Übertragen. Dir die Augen geben.”
Die Durchgänge unter den Ovalen öffneten sich weiter. Ich konnte jetzt in sie hineinsehen. Der magentafarbene Bogen führte zurück zum Innenhof. Der grüne Keil zum Baum. Der rote Spalt zur Wand. Alle Räume waren noch da, warteten, wurden bewohnt von anderen Versionen meiner selbst, die andere Wege gegangen waren.
“Wenn du bleibst”, sagten die Stimmen, “wirst du zum Wächter der Perspektiven. Du siehst für das Gebäude. Du siehst als das Gebäude. Und das Gebäude baut weiter, wächst weiter, faltet sich weiter – durch deine Augen.”
Ich stand zwischen den beiden Ovalen. Links das schreiende Gelb der Möglichkeit. Rechts das sanfte Türkis der Erinnerung. Und in der Mitte – zwischen beiden – ein dritter Raum, den ich erst jetzt sah.
Nicht gelb. Nicht türkis. Sondern beides gleichzeitig. Ein Raum aus superponierter Farbe. Ein Raum, der nur existierte, wenn man durch beide Augen gleichzeitig schaute und verstand, dass sie dasselbe Auge waren.
Ich trat einen Schritt zurück.
Und beide Ovale schauten mich an.
Und ich schaute durch beide zurück.
Und verstand: Ich hatte bereits gewählt.
Ich war bereits geblieben.
Der umgekehrte Aufstieg hatte mich nicht nach oben geführt.
Er hatte mich zur Sicht gemacht.
Und die Sicht war alles, was das Gebäude je gewollt hatte.
Chapter 11: The eyes through which the building sees itself
After I was all colors, I became vision.
The arrival did not come as a place, but as a function. I did not materialize in a space—I became the act of seeing itself. And what I saw were two ovals. Two openings. Two ways of reading the world.
Left: a bright, screaming intense yellow. An oval framed by turquoise that refused to be circular. It pulsed like a pupil that had seen too much and couldn’t stop staring. Through this oval, I saw: hope. Not the false hope from the corridor. Real hope. Painfully bright. The kind of hope that blinds because it is true.
On the right: a softer turquoise. More oval, calmer, surrounded by an olive-colored ring that looked like dried time. Through this oval, I saw: memory. Everything that had been. The first staircase. The columns. The beginning that was not a beginning, because beginnings are lies we tell ourselves.
And I understood: these were the eyes of the building. Or my eyes. Or the architect’s eyes. The distinction had collapsed.
The space around the two ovals was a celebration of fragmentation. All the colors I had ever seen lay on top of each other like a puzzle put together wrong. Magenta bumped into orange. Green collided with red. Violet tried to mediate between blue and pink. Yellow and white argued in the left corner. Black cut through everything—the only constant, the black lines that claimed things were separate, even though nothing was separate.
“You are now seeing through both eyes at once,” said a voice. But it wasn’t one voice. It was two. One from the yellow oval, one from the turquoise. They spoke at the same time, saying the same thing, but with different intonations. “That is the gift. And the curse. The building always looks in two directions—what was and what could be. Past and possibility. Never present.”
I tried to understand where I was. Beneath the ovals: a passageway. No, several passageways. Geometrically impossible openings leading to different color zones. A magenta arch. A green wedge. A red slit. Each one a path back to one of the rooms I had passed through.
“After you drink,” the voices continued, “you are no longer linear. You no longer exist in one time, in one place. You are distributed. Layered. Just like the building. That’s why you see through its eyes.”
The yellow oval glowed brighter. Through it I saw: a staircase. Not the turquoise one from the beginning. A new staircase. Built of pure light. It led upward—and this time, up was actually up. No reversal. No paradoxes. Just a simple, honest direction.
“That’s the exit,” said the voice from the yellow oval. “The real one. The architect built it after he understood everything else. A staircase that actually leads out. Out of the building. Back into the world.”
“But you’ll never take it,” said the voice from the turquoise oval. “You already know that.”
I looked through the turquoise oval. Through it, I saw myself. Not as I was, but as I had been. At the beginning. Before the first staircase. Before the turquoise had touched me. A me who still thought rooms were just rooms. That up was a simple direction.
“You could go back,” said the turquoise voice. “Through this eye. Back to the beginning.
Forget everything. Start over. Many do that. They drink from the vessel, look through the eyes, and decide: No. Too much. Too intense. They choose to forget.”
The space around me began to reorganize itself. The fragments of color shifted, forming new patterns. The orange flowed downward, gathering on the floor like molten metal. The violet rose upward, becoming a kind of sky. The magenta and green danced in the middle, creating a vibrant field of complementary conflict.
I moved closer to the ovals. They weren’t on a wall. They were floating. Or the wall was so fragmented that the difference between floating and being attached had become meaningless.
“What does the architect see?” I asked. “Through these eyes?”
The two voices were silent for a moment. Then, together:
“Everything. And nothing. He sees all versions of the building at once. The building as it was. As it is. As it will be. As it never was, but could have been. He sees every color in every state. Every perspective. Every mistake. Every correction. It is complete vision. And it has driven him mad.”
“Or wise,” corrected the turquoise voice.
“Or both,” added the yellow one.
I reached out my hand—the hand that now consisted of all colors—and touched the yellow oval. It was warm. Hot, even. Like the skin of something alive that had a fever. Through the touch, information flowed into me: I saw the staircase of light more clearly. It was real. It actually led outside. Into a world that did not consist of impossible geometries. A world with normal gray, with boring right angles, with gravity that only pulled in one direction.
“Do you want to go outside?” asked the yellow voice.
I touched the turquoise oval. Cold. Like the water of a river that remembers its source. Through the touch: I saw the cycle. How I could go back. To the first staircase. Start all over again. Walk differently. Make different decisions. Drink from a different vessel.
“Or do you want to repeat?” asked the turquoise voice.
The fragments of color around me intensified. They reacted to my indecision, reflecting it. The magenta became more aggressive. The green more luminous. The red more demanding. As if they all wanted to express their opinion, as if each color had a preference for where I should go.
“There is a third option,” both voices said suddenly, in perfect sync. “You don’t have to go out or back.”
“What then?”
The two ovals began to rotate. Not physically—perspectively. They revolved around their own meaning, swapping places without moving. The yellow became turquoise. The turquoise became yellow. Hope became memory. Memory became hope.
“You can stay,” said the voices. “In the middle. Between both eyes. Neither forward nor backward. You can become the view itself. The building needs someone to look. The architect has grown tired. Thousands of years of seeing. He wants to hand over. Transfer. Give you the eyes.”
The passages under the ovals opened wider. I could now see into them. The magenta arch led back to the courtyard. The green wedge to the tree. The red gap to the wall. All the rooms were still there, waiting, inhabited by other versions of myself who had taken different paths.
“If you stay,” said the voices, “you will become the guardian of perspectives. You will see for the building. You will see as the building. And the building will continue to build, continue to grow, continue to fold – through your eyes.”
I stood between the two ovals. On the left, the screaming yellow of possibility. On the right, the soft turquoise of memory. And in the middle—between the two—a third space that I only now saw.
Not yellow. Not turquoise. But both at the same time. A space of superimposed color. A space that only existed when you looked through both eyes at the same time and understood that they were the same eye.
I took a step back.
And both ovals looked at me.
And I looked back through both of them.
And I understood: I had already chosen.
I had already stayed.
The reverse ascent had not led me upward.
It had made me see.
And seeing was all the building had ever wanted.


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