Das Bankett endete nicht. Es implodierte.
Alle Gefäße – die geschichteten, die einfarbigen, die mit Henkeln, die ohne – begannen gleichzeitig zu sprechen. Nicht nacheinander. Gleichzeitig. Ihre Stimmen überlagerten sich, widersprachen einander, ergänzten sich, löschten sich aus. Das Resultat war kein Chor. Es war eine Kakophonie. Eine Polyphonie des Widerspruchs.
Und dann verstand ich: Die Stimmen kamen nicht von den Gefäßen.
Sie kamen von in mir.
Das zentrale, geschichtete Gefäß – das ich geworden war – begann sich zu drehen. Nicht um eine Achse. Um alle Achsen gleichzeitig. Es faltete sich nach innen, wurde sphärisch, komprimierte alle seine horizontalen Schichten zu einer rotierenden Kugel.
Und in dieser Kugel: sie alle.
Die Stimmen. Die inneren Bewohner. Die Instanzen, die der Architekt sein Leben lang mit sich herumgetragen hatte und die jetzt – nachdem ich sein Gebäude getrunken hatte – auch meine geworden waren.
Die Kugel hing in der Luft. Umgeben von breiten Streifen – Gelb, das dominierte wie immer. Rosa und Pink, die sich aneinanderdrängten. Blau, das Ordnung versprach. Violett, das melancholisch zuschaute. Diese Streifen waren nicht Dekoration. Sie waren Territorium. Jede Farbe ein Argument für eine bestimmte Sichtweise, eine bestimmte Art zu sein.
Im Inneren der Kugel: Chaos. Hunderte von Farbstreifen, horizontal, vertikal, diagonal. Rot, Türkis, Orange, Grün, Violett, Rosa, Gelb, Blau – alle durcheinander, alle gleichzeitig, alle fordernd. Jeder Streifen eine Stimme. Jede Farbe eine Meinung.
“ENDLICH”, brüllte eine Stimme – rot, intensiv, wütend. “Endlich hören sie uns zu! Jahrelang haben wir geflüstert, gemurrt, geschrien, und niemand hat –”
“Ruhe”, unterbrach eine andere – blau, kalt, präzise. “Ordnung. Wir müssen methodisch vorgehen. Erstens: Wer wir sind. Zweitens: Was wir wollen. Drittens –”
“Ach, hör auf mit deinen Listen”, spottete eine dritte Stimme – violett, sarkastisch. “Als ob Ordnung jemals geholfen hätte. Sieh dich um. Das Gebäude ist ein Alptraum aus Geometrie, und wir sind mittendrin. Deine Methodik hat uns genau hierhergebracht.”
“Das ist unfair”, meldete sich eine vorsichtige, ängstliche Stimme – hellgrün, zitternd. “Der Gewissenhafte hat sein Bestes getan. Wir sollten nicht –”
“NATÜRLICH hat er sein Bestes getan”, donnerte die rote Stimme zurück. “Und TROTZDEM sind wir in einer Kugel gefangen, umgeben von Farben, die wir nicht kontrollieren können!”
“Kontrollieren”, murmelte eine müde, orangefarbene Stimme. “Immer dieses Kontrollieren. Vielleicht sollten wir einfach akzeptieren, dass –”
“NIEMALS!”, mehrere Stimmen gleichzeitig, ein Akkord aus Ablehnung.
Ich – oder was von einem Ich übrig war – versuchte zu verstehen. Die Kugel drehte sich weiter, und mit jeder Rotation wurden die Stimmen lauter, deutlicher, fordernder.
“Darf ich vorschlagen”, sagte eine neue Stimme – rosa, höflich, fast unterwürfig – “dass wir uns vorstellen? Für den neuen Bewohner? Es muss verwirrend sein, plötzlich von so vielen –”
“AUSGEZEICHNETE Idee!”, rief eine gesellige, türkisfarbene Stimme. “Ich mache gerne den Anfang! Ich bin die Soziale. Meine Aufgabe ist es sicherzustellen, dass wir alle gut miteinander auskommen, dass niemand ausgegrenzt wird, dass –”
“Niemand hat dich gefragt, den Anfang zu machen”, schnitt die violette Stimme – die Widersprecherin – ein. “Warum gehst du immer davon aus, dass deine Perspektive die wichtigste ist?”
“Tue ich gar nicht! Ich versuche nur –”
“Wenn ich darf”, unterbrach die blaue Stimme – ruhig, aber bestimmt. “Ich bin der Gewissenhafte. Meine Funktion ist es, sicherzustellen, dass alle Schritte ordnungsgemäß durchgeführt werden, dass keine Details übersehen werden, dass –”
“DETAILS”, explodierte die rote Stimme. “Immer diese verfluchten Details! Deshalb kommen wir nie voran! Weil du jede einzelne Farbnuance dreimal überprüfen musst, bevor wir –”
“Ich bin das Zornige”, fügte die rote Stimme hinzu, jetzt formeller. “Und jemand muss hier die Wahrheit sagen. Dieses Gebäude ist eine Katastrophe. Alle Räume, die wir durchquert haben – unmöglich, verwirrend, erschöpfend. Und warum? Weil niemand jemals auf MICH gehört hat!”
“Das ist nicht wahr”, widersprach eine gelbe Stimme – hell, optimistisch, fast nervös. “Ich bin der Fleißige. Und ich kann bezeugen, dass wir sehr hart gearbeitet haben. An jedem Raum. An jeder Farbe. Es ist nicht perfekt, aber –”
“Nicht perfekt”, echote die violette Widersprecherin. “Das ist die Untertreibung des Jahrhunderts.”
“Vielleicht”, meldete sich eine tiefe, ruhige Stimme – ein dunkles Grün, fast braun. “Sollten wir überlegen, ob Perfektion überhaupt das Ziel war. Ich bin der Weise, und nach langer Beobachtung glaube ich –”
“OH NEIN”, stöhnten mehrere Stimmen gleichzeitig. “Nicht schon wieder einer deiner philosophischen Exkurse!”
“Ich hatte nur vorschlagen wollen –”
“Entschuldigung”, unterbrach eine hastige, atemlose Stimme – magenta, vibriering. “Ich bin das Unruhige, und ich muss sagen, dass wir DRINGEND über den nächsten Raum nachdenken sollten. Wir können nicht einfach hier in dieser Kugel bleiben! Was, wenn sie kollabiert? Was, wenn –”
“Sie wird nicht kollabieren”, versicherte die hellgrüne, ängstliche Stimme. “Oder? Oh Gott. Wird sie? Ich bin die Ängstliche, und ich denke, wir sollten vielleicht einen Notfallplan –”
“Notfallplan!”, rief die blaue Stimme des Gewissenhaften begeistert. “Ausgezeichneter Vorschlag! Ich beginne sofort mit der Kategorisierung der Risiken. Erstens: struktureller Kollaps. Zweitens: Farbauflösung. Drittens –”
“HÖRT IHR MIR ÜBERHAUPT ZU?”, brüllte das Zornige.
Einen Moment Stille. Die Kugel rotierte weiter, aber die Stimmen schwiegen.
Dann, leise, eine neue Stimme – hellblau, fast transparent: “Ich bin der Kluge. Und ich glaube, wir haben ein strukturelles Problem. Wir reden alle gleichzeitig, aber niemand hört zu. Das ist keine Konversation. Das ist paralleles Monologisieren.”
“Sehr gut beobachtet”, sagte der Weise.
“Nutzlos beobachtet”, korrigierte die Widersprecherin.
“Könnte ich vielleicht –” begann die rosafarbene Stimme.
“DU WIEDER!”, rief die rote.
Und die Kakophonie begann von neuem. Lauter diesmal. Fordernder. Die Streifen in der Kugel vibrierten, wechselten die Position, versuchten, sich gegenseitig zu übertönen.
Ich verstand: Das war der Architekt gewesen. Nicht ein Mensch. Eine Versammlung. Ein inneres Parlament aus widersprüchlichen Stimmen, die niemals zu einem Konsens kamen. Kein Wunder, dass sein Gebäude unmöglich war. Es war der physische Ausdruck eines inneren Krieges.
Und jetzt – nachdem ich das Gebäude getrunken hatte – war dieser Krieg auch meiner.
Die Kugel drehte sich schneller.
Die Stimmen wurden lauter.
Und irgendwo, zwischen all dem Lärm, versuchte ich zu verstehen:
Wer war ich jetzt?
Der Zuhörer?
Oder nur eine weitere Stimme im Chor?
Chapter 16: The Sphere of Contending Instances
The banquet did not end. It imploded.
All the vessels—the layered ones, the single-colored ones, the ones with handles, the ones without—began to speak at the same time. Not one after the other. Simultaneously. Their voices overlapped, contradicted each other, complemented each other, canceled each other out. The result was not a choir. It was a cacophony. A polyphony of contradiction.
And then I understood: the voices did not come from the vessels.
They came from within me.
The central, layered vessel—which I had become—began to rotate. Not around one axis. Around all axes at once. It folded inwards, became spherical, compressed all its horizontal layers into a rotating sphere.
And in this sphere: all of them.
The voices. The inner inhabitants. The instances that the architect had carried around with him throughout his life and which now – after I had drunk his building – had also become mine.
The sphere hung in the air. Surrounded by broad stripes—yellow, which dominated as always. Pink and fuchsia, jostling each other. Blue, which promised order. Violet, which watched melancholically. These stripes were not decoration. They were territory. Each color an argument for a particular point of view, a particular way of being.
Inside the sphere: chaos. Hundreds of colored stripes, horizontal, vertical, diagonal. Red, turquoise, orange, green, violet, pink, yellow, blue—all jumbled together, all at once, all demanding. Each stripe a voice. Each color an opinion.
“FINALLY,” roared one voice—red, intense, angry. “Finally, they’re listening to us! For years we’ve whispered, grumbled, shouted, and no one has—”
“Quiet,” interrupted another—blue, cold, precise. “Order. We must proceed methodically. First: who we are. Second: what we want. Third –“
”Oh, stop with your lists,“ scoffed a third voice – purple, sarcastic. ”As if order ever helped. Look around. The building is a nightmare of geometry, and we’re right in the middle of it. Your methodology brought us right here.”
“That’s unfair,” said a cautious, fearful voice—light green, trembling. “The conscientious one did his best. We shouldn’t—”
“OF COURSE he did his best,” thundered the red voice. “And YET we’re trapped in a sphere, surrounded by colors we can’t control!”
“Control,” murmured a tired, orange voice. “Always this control. Maybe we should just accept that—”
“NEVER!” several voices at once, a chorus of rejection.
I—or what was left of me—tried to understand. The sphere continued to spin, and with each rotation, the voices grew louder, clearer, more demanding.
“May I suggest,” said a new voice—pink, polite, almost submissive—“that we introduce ourselves? For the new resident? It must be confusing to suddenly be surrounded by so many—”
“EXCELLENT idea!” exclaimed a sociable, turquoise voice. “I’ll gladly start! I’m the Social One. My job is to make sure we all get along well, that no one is excluded, that—”
“No one asked you to start,” interrupted the purple voice—the Dissenter.
“Why do you always assume that your perspective is the most important?”
“I don’t! I’m just trying to—”
“If I may,” interrupted the blue voice—calmly but firmly. “I’m the Conscientious One. My job is to make sure that all steps are carried out properly, that no details are overlooked, that—”
“DETAILS,” exploded the red voice. “Always those damn details! That’s why we never make any progress! Because you have to check every single color nuance three times before we—”
“I am the Angry One,” added the red voice, now more formal. “And someone has to tell the truth here. This building is a disaster.
All the rooms we’ve walked through – impossible, confusing, exhausting. And why? Because no one ever listened to ME!“
”That’s not true,“ objected a yellow voice – bright, optimistic, almost nervous. ”I am the Diligent One. And I can testify that we have worked very hard. On every room. On every color. It’s not perfect, but—“
”Not perfect,“ echoed the purple dissenter. ”That’s the understatement of the century.“
”Perhaps,“ said a deep, calm voice—a dark green, almost brown. ”We should consider whether perfection was the goal at all. I am the Wise One, and after long observation, I believe—”
“OH NO,” groaned several voices at once. “Not another one of your philosophical digressions!”
“I just wanted to suggest—”
“Excuse me,” interrupted a hasty, breathless voice—magenta, vibrating. “I am the Restless One, and I must say that we should URGENTLY consider the next room.
We can’t just stay here in this sphere! What if it collapses? What if—“
”It won’t collapse,“ assured the light green, fearful voice. ”Or will it? Oh God. Will it? I am the Anxious One, and I think we should perhaps have a contingency plan—”
“Contingency plan!” exclaimed the blue voice of the conscientious one enthusiastically. “Excellent suggestion! I’ll start categorizing the risks right away. First: structural collapse. Second: color resolution. Third—”
“ARE YOU EVEN LISTENING TO ME?” yelled the angry one.
A moment of silence. The sphere continued to rotate, but the voices fell silent.
Then, quietly, a new voice – light blue, almost transparent: “I am the Clever One. And I think we have a structural problem. We are all talking at once, but no one is listening. This is not a conversation. This is parallel monologuing.”
“Very well observed,” said the Wise One.
“Useless observation,” corrected the dissenter.
“Could I perhaps—” began the pink voice.
“YOU AGAIN!” shouted the red one.
And the cacophony began anew. Louder this time. More demanding. The stripes on the sphere vibrated, changed position, tried to drown each other out.
I understood: this had been the architect. Not a human being. An assembly. An inner parliament of contradictory voices that never reached a consensus. No wonder his building was impossible. It was the physical expression of an inner war.
And now—after I had drunk the building—this war was also mine.
The sphere spun faster.
The voices grew louder.
And somewhere, amid all the noise, I tried to understand:
Who was I now?
The listener?
Or just another voice in the choir?


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