Gelb brennt die Wand hinter uns,
eine Sonne aus Filzstift und Nervensystem,
während ich, das hohe blaue Glas,
mich in die Länge ziehe wie ein verspäteter Gedanke.
Neben mir der grüne Becher,
breit, beleidigt, halb durchsichtig,
ein sozialdemokratischer Zylinder im Feierabendmodus,
flüstert: “Heute trinken wir die Linie, nicht den Inhalt.”
Wir sind zwei Behälter ohne Getränk,
aber voller Geräusch:
schabende Bleistiftbahnen,
klirrende Kringel,
ein bisschen „tschik-tschak“ vom Marker,
und irgendwo ein Kellner, der nur aus Ausrufezeichen besteht.
Die Schwerkraft wurde storniert,
Stattdessen gilt Paragraph 1
des Gesetzbuchs für Glaswesen:
Jede Kurve darf sich dreimal umentscheiden.
Darum wölbt sich mein Hals nach links,
mein Fuß nach rechts,
und mein Schatten macht Überstunden im Türkis.
Der Hintergrund ist eine gelbe Kantine der Zukunft,
wo architektonische Cocktails beraten,
wie viele Kanten ein Gefühl haben darf.
Ich sage: “Seven.”
Der Grüne sagt: “Siebzehn, minimum.”
Die Linie, die uns umrandet, lacht hysterisch
und zeichnet sich selbst noch einmal darüber,
so wie Bürokratie das Formular des Formulars erfindet.
In dieser Welt misst man Zeit
in Millimetern verwackelter Kontur.
Wenn die Hand zittert, ist Feierabend,
wenn sie zu ruhig ist,
rufen wir die DADA-Gewerkschaft.
Ich erinnere mich an vergangene Füllungen:
Wasser, das nach Schulhof roch,
Wein, der Seminare erklomm,
eine einsame Olive,
die ein ganzes Gespräch sabotierte.
Doch heute sind wir leer
und gerade deshalb randvoll.
Wir sind Prototypen einer neuen Soziologie der Gläser,
une petite théorie de la verrerie fatiguée,
wo jedes Trinkgefäß Subjektstatus hat
und der Mensch nur Statist im Hintergrund ist,
ein gelber Fleck auf der Tapete.
Der Grüne beginnt, in Denglish zu philosophieren:
„Listen, mein Lieber,
we are not just objects,
wir sind Container von Möglichkeiten,
small utopian infrastructures, verstehst du?“
Ich antworte mit einem Blubbern,
das nur in Blau existiert:
„Ja, aber niemand spült uns ideologiekritisch.
They just say ‘cheers’ and disappear.“
Jede Linie, die uns kreuzt,
ist ein unbezahlter Gedanke.
Manche biegen kurz ab,
machen einen kleinen Loop-de-loop
und stürzen sich dann
in den gelben Rand der Seite,
wo alle Skizzen als Klassiker enden.
Zwischenruf der Striche:
tik
tak
trrkrr
KLING
Die Geräuschpartikel fallen ins Nichts,
landen doch in unserem Bauch,
dem hohlen Archiv des Abends.
Natürlich fragst du dich jetzt,
wo bleibt das Schwein,
das Pigture,
die oinkende Referenz?
Heute nicht.
Heute sind wir eine pig-lose Zone,
eine picture ohne snout,
aber schau genauer:
Die Reflexe auf meinem Glas
formen einen kleinen, grauen Schatten,
fast wie ein Schwein im Tarnanzug,
das sich in die Happy Hour geschmuggelt hat.
Es grunzt im Flüsterton:
„Ich bin nur die Erinnerung
an all die Drinks,
die ihr nie getrunken habt.“
Neue Naturgesetze werden beschlossen:
- Flüssigkeit ist optional,
aber Stimmung ist Pflicht. - Jede Farbe darf die andere übermalen,
solange sie dabei ihren Namen vergisst. - Wer einen Strich zieht,
muss ihn später persönlich trösten.
Unter diesem Regime
tanzen wir zwei Gläser Polka,
ohne uns zu bewegen,
drehen uns spiralförmig nach innen,
bis der Teller unter mir
zum blauen Planet wird
und der Becher zum grünen Satelliten.
Die Umlaufbahn knarzt in Bleistift,
ein Orbit aus „ungefähr“,
„ach egal“
und „noch eine Runde, bitte“.
Im Off sitzst du,
unsichtbarer Zeichnerin,
und wunderst dich,
warum die Perspektive leicht schief geraten ist.
Wir nicht.
Schiefe ist unser offizielles Koordinatensystem.
Gerade Linien sind hier nur
Legenden für Touristen,
urban myths of geometry.
Wenn du den Blick lange genug hältst,
siehst du, wie der Hintergrund nach vorne kippt,
wie die Gläser zu Türen werden,
wie hinter jeder Tür
ein anderer Durst wartet:
Durst nach Gespräch,
nach Lärm,
nach Stille,
nach einem Schluck,
der endlich nicht metaphorisch ist.
DADA-Break, service announcement:
klirr.
CLIC.
glou-glou glitzergelb.
Alle Bedeutungen müssen jetzt
die Tanzfläche verlassen.
Zum Schluss,
wenn der Stift müde ist
und die Marker ihre Kappen wiederfinden,
bleiben wir zwei Silhouetten stehen
wie Zeugen eines Verhörs,
bei dem niemand weiß,
was eigentlich gesucht wurde.
Vielleicht nur dies:
dass auch leere Gläser
laut träumen dürfen,
dass Farbe nicht gehorcht,
dass ein Bild fragen kann:
“Und du, Mensch,
woraus bist du heute gegossen?”
Die gelbe Wand dimmt ins Weiß,
die Linien rollen sich ein wie Katzen,
und irgendwo,
ganz leise,
stellt jemand zwei echte Gläser
auf einen echten Tisch,
in der Hoffnung,
dass wenigstens eins von ihnen
so absurd ehrlich sein wird
wie wir.


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