Das Weiß hatte gelogen. Es hatte versprochen, Reinheit zu sein, Klarheit, eine Pause. Stattdessen war es ein Durchgang gewesen, ein Nadelöhr, das mich in das Gegenteil von Stille presste.
Ich fiel nicht in den neuen Raum. Ich wurde eingedreht.
Das Magenta hatte auf mich gewartet. Geduldiger, hungriger als zuvor. Es hatte sich mit dem Gelb verbündet – nicht friedlich, sondern notwendig, wie zwei Feinde, die erkennen, dass sie nur gemeinsam überleben können. Die beiden Farben lagen übereinander, drängten sich aneinander, strömten ineinander wie Wasser und Öl, die vergessen hatten, dass sie sich abstoßen sollten.
Der Raum war eine Verdrehung. Nein, der Raum selbst drehte sich. Die Wände – hohe, streifige Säulen, schwarz und grau geädert wie versteinertes Fleisch – standen nicht aufrecht. Sie standen geneigt, alle in dieselbe unmögliche Richtung gekippt, als würden sie von einer Schwerkraft angezogen, die nur für sie galt. Magenta und Rosa färbten ihre Oberflächen, tropften nach unten, nach oben, nach innen, gleichgültig gegenüber jeder physikalischen Ordnung.
Aber das Schlimmste war der Boden.
Er war nicht flach. Er war nicht geneigt. Er war gewellt. Wie die Oberfläche eines gefrorenen Sees, der sich an den Moment erinnert, als er noch flüssig war. Konzentrische Ringe aus Magenta, Rosa, Violett, Gelb, Schwarz – alle liefen zur Mitte hin, zu einem Punkt, der kein Punkt war, sondern ein Abwärts. Ein Trichter. Ein Mahlstrom aus erstarrter Bewegung.
“Du bist in der Spirale”, sagte eine Stimme. Nicht die aus den Wänden, nicht die aus dem Boden. Diese Stimme kam von unten, aus dem Zentrum des Strudels, als würde jemand aus der Tiefe heraufrufen. “Hier dreht sich alles um sich selbst. Der Architekt hat diesen Raum gebaut, um Schwindel zu konservieren. Er wollte das Gefühl einfangen, wenn man fällt, ohne jemals anzukommen.”
Ich versuchte, stillzustehen. Aber Stillstand war in diesem Raum keine Option. Der Boden unter meinen Füßen bewegte sich – unmerklich, aber konstant. Die Wellenlinien drehten sich, nicht schnell, aber unaufhaltsam, wie die Zeiger einer Uhr, die rückwärts läuft. Mit jeder Sekunde verschob sich meine Position ein kleines Stück nach innen, zur Mitte hin.
Die Wände um mich herum – die geneigten, gestreiften Säulen – vibrierten in einem Rhythmus, der fast wie Musik klang. Aber keine Musik, die je komponiert worden war. Eine Musik aus Strukturschwingungen, aus dem Geräusch von Architektur, die sich weigert, still zu sein. Die schwarzen Linien, die die Säulen durchzogen, waren wie Saiten. Und etwas spielte sie.
Das Gelb leuchtete an den Rändern des Raumes – grell, aufdringlich, wie ein Alarm, der vergessen hatte abzuschalten. Es umrahmte das Magenta, hielt es gefangen, oder wurde von ihm gefangen gehalten. Die beiden Farben kämpften nicht mehr. Sie hatten einen Pakt geschlossen: gemeinsam würden sie mich nach unten ziehen.
“Der Architekt”, fuhr die Stimme fort, “ist hier zerbrochen. Nicht körperlich. Zeitlich. Er kam hierher, um einen Aufgang zu bauen, und erkannte, dass jeder Aufstieg eine Spirale ist. Man kommt immer wieder am selben Punkt vorbei, nur auf einer anderen Ebene. Aber er konnte die Ebenen nicht trennen. Sie überlappten sich. Er ging aufwärts und kam tiefer an. Er stieg tiefer und fand sich oben wieder.”
Ich begann zu laufen. Gegen die Drehung. Aber das war der Fehler. Gegen die Spirale zu laufen bedeutete, schneller nach innen gezogen zu werden. Die Wellenlinien im Boden reagierten auf meinen Widerstand, verstärkten ihre Rotation. Meine Schritte sanken ein – nicht in Substanz, sondern in Bedeutung. Jeder Schritt wurde weniger real, weniger effektiv, mehr hypothetisch.
Über mir – wenn es noch ein Oben gab – öffnete sich der Raum zu einer schrägen Decke. Magenta, dominant, durchsetzt mit gelben Blitzen wie Nervenbahnen. Auch sie war geneigt, lehnte sich in die Spirale hinein, als wollte sie einstürzen, hielt sich aber zurück aus purem Trotz.
Ich sah sie jetzt deutlicher: die Säulen. Sie waren nicht aus Stein. Sie waren aus Schichten. Übereinander gepresste Zeitebenen, jede eine andere Version derselben Säule. Eine Säule, die hier stand, bevor der Raum sich zu drehen begann. Eine Säule während der Drehung. Eine Säule, nachdem sie vergessen hatte aufzuhören. Alle existierten gleichzeitig, überlagert, gefangen zwischen dem, was sie waren, sind und sein werden.
“Es gibt keinen Ausgang”, sagte die Stimme. “Nur ein Durch. Du musst dich der Spirale hingeben. Gegen sie zu kämpfen bedeutet, für immer zu kreisen. Mit ihr zu gehen bedeutet, ins Zentrum zu sinken.”
“Was ist im Zentrum?”
“Das, was übrig bleibt, wenn sich alles aufgelöst hat. Der Kern. Der Punkt, um den das ganze Gebäude rotiert.”
Die Wellenlinien des Bodens wurden enger, konzentrierter. Ich war näher an der Mitte als ich dachte. Das Magenta unter meinen Füßen pulsierte stärker, atmete schneller. Jede Welle war ein Herzschlag, eine Kontraktion, ein Versuch, mich zu verschlucken.
Ich sah es jetzt: In der Mitte des Raumes, dort wo alle Linien zusammenliefen, öffnete sich ein Loch. Nicht schwarz. Nicht weiß. Ein Loch aus allen Farben, die ich bisher gesehen hatte, übereinandergelegt bis zur Unkenntlichkeit. Türkis und Magenta und Gelb und Violett und Grün und Grau – alle rotierten ineinander, bildeten einen visuellen Mahlstrom, der unmöglich anzusehen war und gleichzeitig unmöglich zu ignorieren.
“Das ist die Achse”, sagte die Stimme. “Um sie dreht sich alles. Das Gebäude, die Räume, die Farben, die Zeit selbst. Der Architekt hat sie installiert, als er merkte, dass Stabilität eine Illusion ist. Wenn alles sich dreht, braucht man einen Punkt, der sich noch schneller dreht. Einen Punkt, der so schnell rotiert, dass er stillzustehen scheint.”
Ich konnte nicht mehr gegen die Drehung anlaufen. Die Spirale hatte gewonnen. Meine Füße glitten über die Wellenlinien, ritten auf ihnen wie auf Schienen, die ins Nirgendwo führten. Das Gelb an den Rändern verblasste, zog sich zurück, als wollte es nicht mit hineingezogen werden. Aber das Magenta – das Magenta war begeistert. Es intensivierte sich, wurde reiner, gesättigter, je näher ich der Mitte kam.
Die Säulen um mich herum begannen sich aufzulösen. Nicht physisch – perspektivisch. Sie verloren ihre Vertikalität, zerflossen zu diagonalen Linien, zu Streifen aus grauem Bewusstsein, die sich in die Spirale ergossen wie Wasser in einen Abfluss.
Und dann war ich am Rand des Lochs.
Es war größer als ich dachte. Nicht ein Loch – eine Öffnung. Ein Mund. Ein Auge. Ein Portal zu etwas, das keine räumliche Ausdehnung mehr besaß. Die Farben darin rotierten so schnell, dass sie zu einem einzigen, unmöglichen Weiß verschmolzen. Aber dieses Weiß war nicht rein. Es war erschöpft. Das Weiß von Farben, die sich zu Tode gekämpft hatten.
“Spring”, sagte die Stimme. “Oder lass dich fallen. Oder bleib am Rand und rotiere für immer. Das sind deine Optionen. Der Architekt hat alle drei gewählt. Deshalb ist er überall und nirgends.”
Ich blickte zurück. Der Raum hinter mir war verschwunden. Es gab nur noch die Spirale, die sich nach außen erstreckte, endlos, eine geometrische Unendlichkeit aus Magenta und Gelb und Schwarz. Keine Treppen mehr. Keine Türen. Nur die Drehung.
Ich blickte nach unten. In das rotierende Weiß.
Und verstand plötzlich: Das war kein Abstieg. Das war eine Transformation. Das Gebäude versuchte nicht, mich irgendwohin zu bringen. Es versuchte, mich zu etwas anderem zu machen.
Ich sprang nicht. Ich ließ los.
Die Spirale nahm mich auf, schlang sich um mich, drehte mich in sich hinein wie ein Faden, der auf eine unsichtbare Spule gewickelt wird. Das Magenta küsste meine Haut, das Gelb brannte in meinen Augen, das Schwarz schnitt durch meine Gedanken.
Und während ich fiel – oder stieg, oder rotierte, die Richtung war bedeutungslos geworden – hörte ich die Stimme ein letztes Mal:
“Willkommen im Kern. Hier endet der umgekehrte Aufstieg. Oder beginnt er. Beides ist wahr. Beides ist falsch. Beides ist dasselbe.”
Dann verschluckte mich das erschöpfte Weiß.
Und auf der anderen Seite wartete eine Farbe, die noch keinen Namen hatte.
Chapter 6: The Spiral of Lost Directions
The white had lied. It had promised purity, clarity, a pause. Instead, it had been a passageway, a bottleneck that pushed me into the opposite of silence.
I didn’t fall into the new space. I was turned in.
The magenta had been waiting for me. More patient, more hungry than before. It had allied itself with the yellow—not peacefully, but out of necessity, like two enemies who realize they can only survive together. The two colors lay on top of each other, pressed against each other, flowing into each other like water and oil that had forgotten they were supposed to repel each other.
The room was a twist. No, the room itself was spinning. The walls—tall, striped columns, black and gray veined like petrified flesh—did not stand upright. They stood at an angle, all tilted in the same impossible direction, as if drawn by a gravity that applied only to them. Magenta and pink colored their surfaces, dripping down, up, in, indifferent to any physical order.
But the worst part was the floor.
It was not flat. It was not slanted. It was wavy. Like the surface of a frozen lake remembering the moment when it was still liquid. Concentric rings of magenta, pink, purple, yellow, black—all running toward the center, toward a point that was not a point, but a downward. A funnel. A maelstrom of solidified motion.
“You are in the spiral,” said a voice. Not the one from the walls, not the one from the floor. This voice came from below, from the center of the vortex, as if someone were calling up from the depths. “Everything here revolves around itself. The architect built this room to preserve vertigo. He wanted to capture the feeling of falling without ever arriving.”
I tried to stand still. But standing still was not an option in this room. The floor beneath my feet was moving—imperceptibly, but constantly. The wavy lines were turning, not quickly, but inexorably, like the hands of a clock running backwards. With every second, my position shifted a little bit inward, toward the center.
The walls around me—the slanted, striped columns—vibrated in a rhythm that sounded almost like music. But not music that had ever been composed. Music made of structural vibrations, of the sound of architecture refusing to be silent. The black lines that ran through the columns were like strings. And something was playing them.
The yellow glowed at the edges of the room – bright, intrusive, like an alarm that had forgotten to turn itself off. It framed the magenta, held it captive, or was held captive by it. The two colors were no longer fighting. They had made a pact: together they would pull me down.
“The architect,” the voice continued, “is broken here. Not physically. Temporally. He came here to build a staircase and realized that every ascent is a spiral. You always pass the same point again, only on a different level. But he couldn’t separate the levels. They overlapped. He went up and arrived deeper. He descended deeper and found himself back at the top.”
I started to run. Against the rotation. But that was the mistake. Running against the spiral meant being pulled inwards faster. The wavy lines in the floor reacted to my resistance, intensifying their rotation. My steps sank – not in substance, but in meaning. Each step became less real, less effective, more hypothetical.
Above me—if there was still an “above”—the room opened up to a sloping ceiling. Magenta, dominant, interspersed with yellow flashes like nerve pathways. It, too, was slanted, leaning into the spiral as if it wanted to collapse, but held back out of pure defiance.
I could see them more clearly now: the columns. They were not made of stone. They were made of layers. Layers of time pressed on top of each other, each a different version of the same column. A column that stood here before the room began to spin. A column during the spin. A column after it had forgotten to stop. They all existed simultaneously, superimposed, caught between what they were, are, and will be.
“There is no exit,” said the voice. “Only a throughway. You must surrender to the spiral. Fighting it means circling forever. Going with it means sinking to the center.”
“What is in the center?”
“That which remains when everything has dissolved. The core. The point around which the entire building rotates.”
The wavy lines on the floor became tighter, more concentrated. I was closer to the center than I thought. The magenta beneath my feet pulsed stronger, breathed faster. Each wave was a heartbeat, a contraction, an attempt to swallow me whole.
I saw it now: in the center of the room, where all the lines converged, a hole opened up. Not black. Not white. A hole made up of all the colors I had seen so far, superimposed until they were unrecognizable. Turquoise and magenta and yellow and violet and green and gray—all rotating into each other, forming a visual maelstrom that was impossible to look at and at the same time impossible to ignore.
“That’s the axis,” said the voice. “Everything revolves around it. The building, the rooms, the colors, time itself. The architect installed it when he realized that stability is an illusion. When everything is spinning, you need a point that spins even faster. A point that rotates so fast that it appears to stand still.”
I could no longer run against the rotation. The spiral had won. My feet glided over the wavy lines, riding them like rails leading to nowhere. The yellow at the edges faded, receding as if it didn’t want to be drawn in. But the magenta—the magenta was enthusiastic. It intensified, becoming purer, more saturated, the closer I got to the center.
The columns around me began to dissolve. Not physically—perspectively. They lost their verticality, melting into diagonal lines, into streaks of gray consciousness that poured into the spiral like water into a drain.
And then I was at the edge of the hole.
It was bigger than I thought. Not a hole – an opening. A mouth. An eye. A portal to something that no longer had any spatial dimensions. The colors inside it rotated so fast that they merged into a single, impossible white. But this white was not pure. It was exhausted. The white of colors that had fought themselves to death.
“Jump,” said the voice. “Or let yourself fall. Or stay at the edge and spin forever. Those are your options. The architect chose all three. That’s why he is everywhere and nowhere.”
I looked back. The room behind me had disappeared. There was only the spiral extending outward, endless, a geometric infinity of magenta and yellow and black. No more stairs. No more doors. Just the rotation.
I looked down. Into the rotating white.
And suddenly I understood: this was not a descent. It was a transformation. The building wasn’t trying to take me somewhere. It was trying to turn me into something else.
I didn’t jump. I let go.
The spiral took me in, wrapped itself around me, spun me into itself like a thread being wound onto an invisible spool. The magenta kissed my skin, the yellow burned my eyes, the black cut through my thoughts.
And as I fell—or rose, or rotated, the direction had become meaningless—I heard the voice one last time:
“Welcome to the core. This is where the reverse ascent ends. Or begins. Both are true. Both are false. Both are the same.”
Then the exhausted white swallowed me.
And on the other side, a color that had no name yet was waiting.


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