Das Gebäude träumte sich neu als Objekte.
Ich trat durch die Schwelle und wurde sofort horizontal. Nicht liegend – perspektiviert. Mein Blickwinkel kippte neunzig Grad, und plötzlich war oben links, war vorne schräg, war die Welt ein Arrangement statt einer Ausdehnung.
Vor mir – oder über mir, oder neben mir, die Präposition war Verhandlungssache – standen die Gefäße.
Nicht ein Gefäß wie zuvor. Alle Gefäße. Eine Versammlung. Eine Kongregation aus Behältern, jeder eine andere Form, eine andere Farbe, eine andere Absicht.
Das größte war türkis. Zylindrisch, hoch, mit einer ovalen Öffnung an der Spitze. Die schwarzen Linien, die es definierten, waren dick, selbstbewusst, fast aggressiv. Sie sagten: Ich bin Grenze. Ich trenne Innen von Außen. Das Türkis leuchtete von innen – das alte, vertraute Türkis aus dem Treppenhaus, aber jetzt eingeschlossen, containerisiert, zu einem tragbaren Zustand gemacht.
Daneben, schräg geneigt: ein rosafarbenes Gefäß. Bauchig, gerundet, mit konzentrischen Ringen um seinen Körper, als hätte es Schichten wie ein Baum, wie eine Zeit, wie ein Gedächtnis. Das Rosa war weich, fast peinlich in seiner Zärtlichkeit, umgeben von all den härteren Farben.
Davor, halb verdeckt: ein grünes Rechteck. Nicht ganz Gefäß, eher Kiste, Container, Box. Das Grün des Architekten, seine Erfindung, nun praktisch geworden. Durch eine Öffnung in der Seite sah ich Silhouetten – kleine, schwarze Schatten. Menschen. Oder was von Menschen übrig blieb, nachdem das Gebäude sie prozessiert hatte.
“Das sind wir”, sagte eine Stimme. Aber nicht eine Stimme. Viele Stimmen, alle gleichzeitig, aus den Gefäßen selbst kommend. “Alle, die jemals durch das Gebäude gegangen sind. Alle, die den umgekehrten Aufstieg versucht haben. Wir wurden zu Behältern. Zu Gefäßen für das, was wir erlebt haben.”
Ich trat näher. Oder die Gefäße bewegten sich zu mir. Im Hintergrund: weitere Formen. Ein gelber Zylinder, schief, als wäre er betrunken von seiner eigenen Hoffnung. Ein orangefarbener Krug, gedrungen, warm. Ein magentafarbenes Oval, das zwischen Gefäß und Frucht oszillierte. Alle umrandet von schwarzen Linien, alle definiert, begrenzt, eingeschlossen.
“Nach der Sicht”, fuhren die Stimmen fort, “kommt die Objektivierung. Du hast durch die Augen des Gebäudes geschaut. Jetzt zeigt es dir, wie es dich sieht. Als Form. Als Container. Als etwas, das gefüllt werden kann.”
Das türkise Gefäß öffnete sich weiter. Die ovale Öffnung an seiner Spitze erweiterte sich, wurde zu einem Mund, zu einem Auge, zu einem Eingang. Ich blickte hinein und sah: alle Räume, die ich durchquert hatte. Das Treppenhaus, der Innenhof, die Kammer, der Korridor – alle geschichtet, übereinander gestapelt im Inneren des Zylinders, wie sedimentierte Erfahrung.
“Jedes Gefäß”, sagten die Stimmen, “enthält eine andere Reise. Manche sind voll. Manche halb leer. Manche sind übergelaufen und haben ihre Farbe nach außen getragen. Du siehst das Rosa? Das ist jemand, der im Innenhof stecken geblieben ist. Das Magenta hat ihn nie losgelassen.”
Das rosafarbene Gefäß pulsierte leicht, als hätte es die Erwähnung gehört und wäre verlegen.
“Das Grüne mit den Silhouetten? Das sind zwei, die zusammen gegangen sind. Sich gegenseitig gestützt haben. Sie haben nie gelernt, getrennte Gefäße zu sein. Jetzt sind sie ein gemeinsamer Container.”
Ich berührte das türkise Gefäß. Die Oberfläche war glatt, aber nicht kalt. Warm eher, wie Haut, wie etwas Lebendes. Die schwarzen Linien, die es umrandeten, vibrierten unter meinen Fingern – nicht physisch, sondern semantisch. Sie versuchten, ihre Bedeutung zu kommunizieren: Ich halte zusammen. Ich verhindere das Ausbluten. Ich bin die Lüge, die dich ganz macht.
“Diese Linien”, sagte ich, “sind dieselben wie überall im Gebäude. Die schwarzen Schnitte. Die Behauptungen von Grenze.”
“Ja”, antworteten die Stimmen. “Der Architekt hat nie aufgehört, sie zu zeichnen. Auch nachdem er verstanden hatte, dass sie Lügen waren. Er zeichnete sie weiter, weil ohne Lügen alles ineinander verfließen würde. Alle Gefäße würden sich mischen, alle Farben würden grau werden. Die Lügen sind strukturell notwendig.”
Das magentafarbene Oval begann sich zu drehen. Langsam, rotierend um seine eigene Achse. Die schwarzen Linien auf seiner Oberfläche bildeten Spiralen, die sich nach innen wanden. Es war eine Erinnerung an die Spirale aus einem früheren Raum – aber jetzt tragbar, handlich, zu einem Objekt reduziert.
“Was passiert mit den Gefäßen?”, fragte ich. “Wenn sie voll sind?”
“Manche zerbrechen. Die Farbe strömt aus, bildet neue Räume, neue Möglichkeiten. Andere verhärten. Werden zu Skulpturen, zu Monumenten ihrer selbst. Und einige – die interessantesten – beginnen zu lecken. Ganz langsam. Ein Tropfen nach dem anderen. Sie geben ihre Erfahrung an die Umgebung ab, färben sie, verändern sie.”
Hinter den großen Gefäßen materialisierten sich weitere. Kleinere, filigranere. Ein violetter Becher. Ein hellblauer Topf. Ein grüngelbes Schälchen. Alle mit schwarzen Linien definiert, alle voll oder leer oder irgendwo dazwischen.
Und dann sah ich es: In der Mitte der Versammlung, halb verdeckt von den anderen, stand ein leeres Gefäß. Transparent fast. Die schwarzen Linien waren da, definierten seine Form, aber es gab keine Farbe darin. Nur Potenzial. Nur Möglichkeit.
“Das ist deins”, sagten die Stimmen. “Dein Gefäß. Es wartet auf dich seit dem Anfang. Seit dem ersten Schritt auf der türkisen Treppe.”
Ich näherte mich. Die anderen Gefäße wichen zur Seite, machten Platz, öffneten einen Weg. Das leere Gefäß war größer, als ich dachte. Nicht so groß wie das türkise, aber substanzieller. Die Form war ungewöhnlich – nicht ganz zylindrisch, nicht ganz oval, sondern etwas dazwischen. Als hätte es noch nicht entschieden, was es sein wollte.
“Du hast die Wahl”, sagten die Stimmen. “Du kannst dich füllen lassen. Mit allem, was du erlebt hast. Dann wirst du ein volles Gefäß. Komplett. Abgeschlossen. Ein schönes Objekt in der Versammlung.”
“Oder?”
“Oder du bleibst leer. Offen. Bereit für das, was noch kommt. Aber das ist gefährlich. Leere Gefäße können umkippen, können zerbrechen. Sie haben keine Stabilität. Das Gewicht der Erfahrung fehlt ihnen.”
Ich streckte die Hand aus. Die schwarzen Linien, die mein Gefäß definierten, leuchteten auf. Nicht hell – aber präsent, fordernd. Sie wollten eine Entscheidung.
Das türkise Gefäß begann, sich zu neigen. Aus seiner Öffnung floß Farbe – nicht flüssig, sondern gasförmig, wie Nebel, wie Erinnerung. Das Türkis strömte durch die Luft, bewegte sich auf mein leeres Gefäß zu, bot sich an.
Das rosafarbene Gefäß tat dasselbe. Dann das grüne. Das gelbe. Das magentafarbene. Alle Farben wollten mich füllen, wollten Teil meines Containers werden.
“Wähle”, sagten die Stimmen. “Oder wähle nicht. Beides ist eine Wahl.”
Ich stand zwischen den strömenden Farben. Sie umkreisten mich, warteten auf Erlaubnis, einzudringen, mich zu füllen, mich komplett zu machen.
Und ich verstand plötzlich: Das war nicht das Ende des umgekehrten Aufstiegs. Das war die Frage, um die sich alles gedreht hatte:
Bin ich ein Gefäß, das gefüllt wird?
Oder bin ich der Raum zwischen den Gefäßen?
Ich atmete ein.
Die Farben schwebten.
Die schwarzen Linien warteten.
Und ich beschloss: noch nicht zu wählen.
Das leere Gefäß blieb leer.
Und die Versammlung nickte.
Als hätte sie genau das erwartet.
Chapter 13: The Assembly of Containers
The building dreamed itself anew as objects.
I stepped through the threshold and immediately became horizontal. Not lying down—put into perspective. My angle of vision tilted ninety degrees, and suddenly the top left was the front, the world was an arrangement rather than an expanse.
In front of me—or above me, or beside me, the preposition was negotiable—stood the vessels.
Not one vessel as before. All vessels. A gathering. A congregation of containers, each a different shape, a different color, a different purpose.
The largest was turquoise. Cylindrical, tall, with an oval opening at the top. The black lines that defined it were thick, confident, almost aggressive. They said: I am a boundary. I separate the inside from the outside. The turquoise glowed from within—the old, familiar turquoise from the stairwell, but now enclosed, containerized, made portable.
Next to it, tilted at an angle: a pink vessel. Bulbous, rounded, with concentric rings around its body, as if it had layers like a tree, like time, like memory. The pink was soft, almost embarrassing in its tenderness, surrounded by all the harder colors.
In front of it, half hidden: a green rectangle. Not quite a vessel, more like a crate, a container, a box. The architect’s green, his invention, now put to practical use. Through an opening in the side, I saw silhouettes—small, black shadows. People. Or what was left of people after the building had processed them.
“That’s us,” said a voice. But not one voice. Many voices, all at once, coming from the vessels themselves. “Everyone who has ever passed through the building. Everyone who has attempted the reverse ascent. We became containers. Vessels for what we have experienced.”
I stepped closer. Or the vessels moved toward me. In the background: more shapes. A yellow cylinder, crooked, as if drunk on its own hope. An orange jug, squat, warm. A magenta oval that oscillated between vessel and fruit. All outlined with black lines, all defined, bounded, enclosed.
“After the vision,” the voices continued, “comes objectification. You have looked through the eyes of the building. Now it shows you how it sees you. As a form. As a container. As something that can be filled.”
The turquoise vessel opened further. The oval opening at its tip widened, becoming a mouth, an eye, an entrance. I looked inside and saw: all the rooms I had passed through. The stairwell, the courtyard, the chamber, the corridor—all layered, stacked on top of each other inside the cylinder, like sedimented experience.
“Each vessel,” said the voices, “contains a different journey. Some are full. Some are half empty. Some have overflowed and carried their color to the outside. Do you see the pink? That’s someone who got stuck in the courtyard. The magenta never let him go.”
The pink vessel pulsed slightly, as if it had heard the mention and was embarrassed.
“The green one with the silhouettes? Those are two who walked together. Supported each other. They never learned to be separate vessels. Now they are one shared container.”
I touched the turquoise vessel. The surface was smooth, but not cold. Warm, rather, like skin, like something alive. The black lines that bordered it vibrated under my fingers—not physically, but semantically. They tried to communicate their meaning: I hold together. I prevent bleeding. I am the lie that makes you whole.
“These lines,” I said, “are the same as everywhere else in the building. The black cuts. The assertions of boundaries.“
”Yes,“ replied the voices. ”The architect never stopped drawing them. Even after he understood that they were lies. He continued to draw them because without lies, everything would flow into each other. All vessels would mix, all colors would turn gray. The lies are structurally necessary.”
The magenta oval began to spin. Slowly, rotating on its own axis. The black lines on its surface formed spirals that wound inward. It was a reminder of the spiral from an earlier room—but now portable, handy, reduced to an object.
“What happens to the vessels?” I asked. “When they’re full?”
“Some break. The paint flows out, forming new spaces, new possibilities. Others harden. Become sculptures, monuments to themselves. And some—the most interesting ones—begin to leak. Very slowly. One drop at a time. They pass on their experience to their surroundings, coloring them, changing them.”
Behind the large vessels, others materialized. Smaller, more delicate ones. A purple cup. A light blue pot. A greenish-yellow bowl. All defined by black lines, all full or empty or somewhere in between.
And then I saw it: in the middle of the gathering, half-hidden by the others, stood an empty vessel. Almost transparent. The black lines were there, defining its shape, but there was no color inside. Only potential. Only possibility.
“That’s yours,” said the voices. “Your vessel. It’s been waiting for you since the beginning. Since the first step on the turquoise staircase.”
I approached. The other vessels moved aside, made room, opened a path. The empty vessel was larger than I thought. Not as large as the turquoise one, but more substantial. The shape was unusual—not quite cylindrical, not quite oval, but something in between. As if it hadn’t yet decided what it wanted to be.
“You have a choice,” said the voices. “You can let yourself be filled. With everything you’ve experienced. Then you’ll become a full vessel. Complete. Finished. A beautiful object in the collection.”
“Or?”
“Or you can remain empty. Open. Ready for what is yet to come. But that is dangerous. Empty vessels can tip over, can break. They have no stability. They lack the weight of experience.”
I reached out my hand. The black lines that defined my vessel lit up. Not brightly – but present, demanding. They wanted a decision.
The turquoise vessel began to tilt. Color flowed from its opening—not liquid, but gaseous, like fog, like memory. The turquoise flowed through the air, moving toward my empty vessel, offering itself.
The pink vessel did the same. Then the green. The yellow. The magenta. All the colors wanted to fill me, wanted to become part of my container.
“Choose,” said the voices. “Or don’t choose. Both are a choice.”
I stood between the flowing colors. They circled me, waiting for permission to enter, to fill me, to make me complete.
And I suddenly understood: this was not the end of the reverse ascent. This was the question that everything had revolved around:
Am I a vessel to be filled?
Or am I the space between the vessels?
I took a breath.
The colors floated.
The black lines waited.
And I decided: not to choose yet.
The empty vessel remained empty.
And the assembly nodded.
As if that was exactly what they had expected.


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